Das goldene Zeitalter der deutschen Zeichenkunst

Aquarelle und Zeichnungen der Goethezeit
Avec Krista Leuck
journaliste

Das Musée de la Vie romantique in Paris widmete im Frühjahr 2008 erstmals seit 1976 der Zeichenkunst in der Epoche Goethes und der deutschen Romantik eine äusserst kunstvolle und anregende Ausstellung.

Émission proposée par : Krista Leuck
Référence : carr368
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Musée de la Vie Romantique, Paris



Canal Académie führte ein Gespräch mit dem Gastkurator Hinrich Sieveking der direkt aus München in unser Pariser Studio gekommen ist.


Hinrich Sieveking ist Kunsthistoriker und ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Zeichenkunst der Epoche der Deutschen Romantik also rund Ende 18., Beginn 19. Jhdt.

Er erklärt dass Zeichnen in der Epoche um 1800 das führende bildkünstlerische Medium war. Faszinierend stellt sich diese Epoche als seine Phase des Umbruchs dar, geistesgeschichtlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch. Erinnert sei an die französische Revolution, an den Zusammenbruch des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, an napoleonische Kriege und Restauration. Im Zeichen der Aufklärung lösen Rokoko, verschiedene Erscheinungsformen der Romantik und Realismus einander ab.
In der Zeichenkunst, der Handschrift der Epoche, haben die zeitbedingten Brüche und Veränderungen subtiler als in den anderen Kunstgattungen ihren Niederschlag gefunden.

Das Ziel dieser Ausstellung, so meint Hinrich Sieveking, war die Vermittlung eines Überblicks über das künstlerische Schaffen und seine geistige Spannweite in jener Epoche des Umbruchs, in der die Geschichte beider Nationen, Frankreichs und Deutschlands, so eng verwoben war.

Joseph Karl Stieler, Johann Wolfgang von Goethe
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek, Bruno Hartinger, Munich.



Die stilistischen Entwicklungen und vielfältigen künstlerischen Richtungen in der Epoche werden beispielhaft durch die Auswahl von 59 repräsentativen Künstlern und von 124 exemplarischen Zeichnungen und Aquarellen vorgestellt.

Zentrale Themen werden hier bearbeitet : Porträts, Legenden und Mythen, verlassene Ruinen, vor allem Landschaften, die Natur ist eigentlich Hauptdarsteller dieser Epoche – Wiesen, Wälder, Berge…

Unter den charakteristischsten und bedeutendsten Künstlern, oder zumindes bekanntesten in Hinrich Sievekings Auswahl kann man erwähnen : Franz Kobell, Johann Heinrich Füssli, Johann Christian Reinhart, Joseph Anton Koch, Wilhelm Tischbein , Johann Georg von Dillis, Jacob Carstens, Johann Gottfried Schadow, Karl Friedrich Schinkel, Julius Schnorr von Carolsfeld, Moritz von Schwind, Ludwig Richter, Carl Philipp Fohr, Friedrich Overbeck, und nicht zu letzt Caspar David Friedrich.
Es handels sich in gewisser Weise um Höhepunkte der Zeichenkunst dieser Epoche.

Caspar David Friedrich (1774-1840),  Blick über das Schneegrubenmassiv von Hainbergshöh aus
© Privatbesitz




Die Ausstellung wurde für das Musée de la Vie romantique in Paris konzipiert (2008) und Paris bleibt auch die einzige Ausstellungsstation.

Verschiedene Aspekte wurden in diesem Gespräch besonders hervorgehoben, die auch in den einzelnen Kapiteln des Ausstellungskatalogs, dessen hervorragende Qualität zu unterstreichen ist, von Hinrich Sieveking beschrieben werden. Unter anderem :

Dürerzeit – Goethezeit


Zwei Epochen des Umbruchs. In der Dürerzeit vollzieht sich der Übergang von der Spätgotik zur frühen Renaisance mit der Verbreitung des Humanismus und der Reformation.
In der Goethezeit lösen im Zeichen der Aufklärung Rokoko, Klassizismus, verschiedene Erscheinungsformen der Romantik und Realismus einander ab.
In beiden Epochen spiegeln sich die Veränderungen in der Situation des Künstlers. Es geht jeweils um den Prozess seines Freiwerdens aus traditionnellen Bindungen und Konventionen.
So konnte die Zeichnung um ihrer selbst willen als autonomes Kunstwerk entstehen.


Goethe und die Zeichenkunst


Goethe hatte eine besondere Affinität zur Zeichenkunst, auch als Sammler. Ausserdem war er selbst ein begabter Zeichner. Als solcher suchte er vor allem die Auseinandersetzung mit der Natur.
In Goethes Leben spielte die bildende Kunst eine entscheidende Rolle. Sein Kunsturteil war von grösster Bedeutung – das ablehnende sowie das zustimmende. Er diktierte förmlich die Richtlinien, Massstäbe und Massregeln, wie sie in den 1799-1805 ausgeschriebenen « Weimarer Preisaufgaben für junge Künstler » formuliert waren.
Für den überzeugten Klassizisten Goethe hatten die aufkeimenden romantischen Strömungen etwas Krankhaftes. Kritisch äusserte er sich über die neu-deutsche religiös-patriotische Kunstrichtung der Nazarener.

Sturm und Drang

In der Goethezeit verbreitete sich der Sturm und Drang als Reaktion auf rationale Aufklärung, auch unter dem Einfluss Rousseaus, ein stark vom Gefühl bestimmtes neues ursprügliches Erlebnis der Natur ausdrückend. Schöpferische Unruhe und ein dynamischer Gestaltungswille ist diesen Künstlern gemeinsam.
Der äusserst vielseitig begabte, durch seine Phantasie und durch sein Temperament alle Konventionen sprengende Schweizer Johann Heinrich Füssli (1741-1825) ist als Kunst-Schriftsteller und bildender Künstler ein Hauptvertreter des Sturm und Drang. Er liess sich in England nieder und wird heute zur englischen Schule gerechnet. Er ist der einzige Künstler des deutschen Sprachgebiets, der sich mit den Grenzerfahrungen menschlicher Existenz bechäftigt, wie Selbsterkenntnis und Zweifel, Einsamkeit, Angst und Tod, und mit Themen wie Erotik und Sexualität.
Für ihn wird in Rom die Begegnung mit der Antike sowie mit dem Schaffen Michelangelos zu Schlüsselerlebnissen.

Johann Heinich Fûssli (1741-1825),Der Künstler verzweifelnd vor der Grösse der antiken Trümmer
© Grafische Sammlung, Kunsthaus Zürich





Die Vertreter des Nordens

Die bedeutendsten Vertreter der protestantischen Richtung der norddeutschen Länder sind Philipp Otto Runge (1777-1810) und Caspar David Friedrich. Beide stellen die erste Generation der Romantik dar und übten einen grossen Enfluss auf ihre Nachfolger aus, deren Werke auch in dieser Ausstellung zu bewundern sind, wie z.B. Karl Friedrich Schinkel, Johann Gottfried Schadow, Moritz von Schwind, und viele andere.

Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), Trauernde am Tumulus, Ahnung eines neuen Tages
© Kupferstichkabinett, Staatliche Museen, Berlin.




Die Nazarener

Im Unterschied zu den individuellen Erscheinungen der norddeutsch-protestantischen Richtung der Romantik entwickelte sich die katholisch bestimmte, nach Italien führendeRichtung der Nazarener als Kollektivbewegung. Ihre Zielsetzung war die Erneuerung der Kunst aus dem Geist der Religion, die Belebung des Andachtsbildes und der Wandmalerei. Mit ihrer Kunst verfolgten die Nazarener ein auf öffentliche Wirkung gerichtetes, missionarisches Anliegen. In der Hauptstadt der christlichen Welt orientierten sie sich weniger an der Antike als vielmehr an der christlichen Kunst des Mittelalters und der Renaissance.
Ihre führende Köpfe waren der Lübecker Senatorensohn Friedrich Overbeck, der zum Katholizismus konvertierte, der früh verstorbene Frankfurter Franz Pforr, der Düsseldorfer Peter Cornelius und der später hinzugetretene Sachse Julius Schnorr von Carolsfeld, der letzlich im Mittelpunkt einer kleinen Gruppe protestantischer Nazarener stand.
Die Nazarener waren ein freiwilliger Zusammenschluss für gemeinsame Zielsetzung, der wie ein Vorläufer der Gruppierungen deutscher Künstler wie die Brücke, der Blaue Reiter oder das Bauhaus erscheint.


Johann Heinich Fûssli (1741-1825),Der Künstler verzweifelnd vor der Grösse der antiken Trümmer
© Grafische Sammlung, Kunsthaus Zürich
Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872), Die Heimkehr des Jägers
© Museum für Kunst und Kulturgeschichte, Lübeck



Zur Ausstellung erschien ein umfangreicher Katalog (auf französisch) von ca. 320 Seiten mit ganzseitigen Farbabbildungen sämtlicher 124 Exponate



Mehr zu kennen:

Musée de la Vie RomantiqueErhältlich im Musée de la Vie Romantique, 16 rue Chaptal, 75009 Paris

L’âge d’or du romantisme allemand
The golden age of german romanticism
Sous le regard de Goethe, commenté par Pierre Rosenberg

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